Von Staub und Sternen

Hallo Veronika, willkommen zu einem kleinen Interview auf der Storiethek

Wer bist Du wo kommst Du her, was machst Du so?

Ich bin Veronika, werde diesen Monat 28 Jahre alt und komme aus München. Dorthin hat es mich fürs Studium verschlagen und inzwischen lebe ich in einer kleinen, rollstuhlgerechten Wohnung am Rand der Stadt. Ich hatte das riesige Glück Literaturwissenschaften, Psychologie und Theologie studieren zu können und in ersterem zu Promovieren. Im Augenblick arbeite ich mit Menschen, die frisch verunfallt sind und versuche sie mit Tat, Rat und vor allem einem offenen Ohr zu unterstützen, was mich total erfüllt. Nebenbei schreibe ich auch recht viel, pflanze Kräuter auf meinem Balkon an oder sticke.

Du lebst mit spinaler Muskelatrophie, was für einen Typ hast Du und wie geht es Dir … wie lebst Du damit?

Das ist eine schwierige Frage. Ich lebe mit dem intermediären Typ (Typ II) der spinalen Muskelatrophie, aber wie es mir geht, kann ich gar nicht so spontan beantworten. Am Ende würde ich behaupten, dass es mir genauso gut oder schlecht damit geht, wie jedem anderen Menschen. Ich glaube, das sagt schon verhältnismäßig viel über mich und meine Behinderung aus: Für mich war sie grausamerweise oder auch zum Glück immer Teil meines Lebens. Ich habe mit 2 Jahren meinen ersten Elektrorollstuhl bekommen und bin in einem Umfeld aufgewachsen, in dem ich weit und breit die einzige im Rollstuhl war. Quasi das Einhorn auf einer Koppel von Pferden. Das hatte natürlich den Vorteil, dass mein Umfeld und ich von Anfang an die vielbesungene Inklusion gelebt haben. Andererseits ist es aber auch so – und da will ich gar nichts beschönigen, dass ich überall, wo ich war, die erste war. Ich habe mir, gemeinsam mit meiner Familie jeden einzelnen meiner Wege und letztendlich meinen Platz in der Gesellschaft teilweise bitter erkämpft. Das war und ist okay. Es hat mich viel gelehrt und ich hoffe einfach sehr, dass es für andere dadurch ein bisschen leichter wird. Inzwischen lebe und arbeite ich, wie schon gesagt in München in meiner eigenen Wohnung. Im Augenblick unterstützen mich dabei 9 Assistent*Innen, die ich über das Arbeitgebermodell beschäftige. Das ist zwar oft einfach viel nervige Zusatzarbeit, aber am Ende gibt es mir die Freiheit, zu tun und zu lassen, was auch immer ich möchte – außer vielleicht einen Marathon zu laufen. Sonst ist mein schwarzer SKS Elektrorollstuhl mein ständiger Begleiter. Ich habe von Anfang an gelernt diese großen und schweren Stühle zu fahren, genauso wie andere Menschen laufen lernen und denke gar nicht mehr darüber nach, wie ich wodurch passe oder wohin ich lenken muss. Für mich ist der Rollstuhl ein Teil meines Körpers geworden. Ich spüre, wenn ihn jemand anfasst und darin zu sitzen, ist für mich das natürlichste auf der Welt. Vor allem genieße ich, dass ich damit auch alleine durch schweres Gelände komme und so kleinere und größere Touren rund um München machen kann, in denen mir kein*e Assistent*In hinterher joggt. Naja und ansonsten würde ich behaupten, dass ich einfach ich bin. Klar ist nicht alles in meinem Leben einfach – und ich würde einiges dafür geben, dass mein Leben mit der SMA selbstverständlicher wäre, aber im großen und ganzen ist es voll okay. Nicht mehr und nicht weniger.


Staub und Sterne, so heißt Dein Blog…was ist der Hintergrund, was schreibst Du da so?

Staub und Sterne, das ist für mich eine Beschreibung für das menschliche Leben im Allgemeinen. Es ist absolut gewöhnlich und selten schön oder glorreich, aber trotzdem – zumindest hoffe ich das – liegt, wenn man den Blickwinkel ändert, doch etwas einmaliges in jeder einzelnen Existenz. Am Ende sind Sterne eben auch nur Staub und gleichzeitig könnte jedes Staubkorn Teil eines Sterns und damit der Mittelpunkt des Universums sein. Das klingt jetzt sehr philosophisch – da kommt wahrscheinlich mein Studium ein bisschen durch, aber ganz konkret habe ich damit angefangen als ich die ersten Monate Risdiplam genommen hat. Das war und ist für mich ein ziemlich einschneidendes Erlebnis. Ich bin von der festen Gewissheit, früher oder später an der Erkrankung zu sterben, an einen Punkt gekommen, an dem ich auf einmal mit großer Wahrscheinlichkeit ein ganzes Leben vor mir hatte. Während ich davor ein bisschen fatalistisch davon ausgegangen bin, dass alles, was ich tue, sowieso gleichgültig ist, weil ich keine Zukunft habe, kam nun auf einmal die Verantwortung in mein Leben, eben dieses Leben zu gestalten. Und damit auch die Frage, ob die Entscheidungen, die ich bisher eben mit einem gewissen Trotz und ohne Rücksicht auf Verluste getroffen habe, eigentlich tatsächlich so gut waren. Als wären diese Selbstzweifel noch nicht genug, hat sich mein Körper zu verändern begonnen. Ich konnte plötzlich Dinge, die jahrelang nicht mehr möglich waren – meine Süßigkeitenschublade aufmachen, um mir selbst etwas zum Naschen rausnehmen zu können. Ich musste lernen, Körperteile zu kontrollieren, die ich bisher eher als störendes Beiwerk wahrgenommen hatte, – und damit kamen ganz neue Wahrnehmungen und Schmerzen in mein Leben. Kurz gesagt: Irgendwie blieb kein Stein auf dem anderen. – Mein Universum war auf der Suche nach einem Fixpunkt. Für mich war da gefühlsmäßig nur noch Staub in meinem Leben. Tja und aus diesem Staub versuche ich jetzt Sterne zu basteln. Und tendenziell fand ich, dass ich das mit anderen teilen könnte. Für mich ist aber wichtig, dass es nicht immer nur um meine Behinderung gehen kann und soll. Weil sie zwar natürlich immer Teil von mir ist und ich nie wäre, wer ich bin, hätte es sie nicht gegeben, aber ich glaube, dass es mehr zu erzählen gibt. Denn am Ende erlebt jeder Mensch auf dieser Welt Veränderungen – mal mehr, mal weniger einschneidend – und manchmal hilft es auch einfach, zu wissen, dass man nicht ganz allein damit ist, aus dem Staub Sterne zu basteln. Wer also gerne mehr von mir und dem Leben an sich lesen möchte, kann gerne einmal bei mir unter www.staubundsterne.com vorbeischauen. Ich freue mich, wenn ich mit diesem Projekt ein paar Menschen einsprechen kann.

Was wünschst Du Dir für die Zukunft, spezifisch auf die Entwicklung der medikamentösen Therapiemöglichkeiten?

Ich würde mir wahnsinnig wünschen, dass dieses ganze Drama mit dem zu kühlenden Saft wegfällt. Versteht mich nicht falsch, ich bin verdammt dankbar dafür, dass es ihn gibt, aber praktisch ist eben anders. Zwar bin ich was meine Abenteuerlust angeht, eher ein Hobbit, aber ich würde mir wirklich gern keine Gedanken mehr über Kühlschranktemperaturen und Transporte machen. Ganz zu schweigen, dass ich den Saft wirklich gern einfach selbst nehmen können würde, was durch die Spritze eben verhindert wird. Insofern würde ich persönlich mir eigentlich Tabletten wünschen. Mein Leben würde das massiv erleichtern. Insgesamt glaube ich, dass zu wenig Fokus auf die Nutzerfreundlichkeit im Behindertenbereich gelegt wird – ob nun bei Medikamenten oder Hilfsmitteln. Ich hätte gerne mehr diskrete Lösungen für meinen Alltag und weniger Kram, den ich zusätzlich bedenken muss. Weil beschäftigt kriege ich mich eigentlich ganz gut selber.

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